Von der Idee bis zur Eröffnung der Schmalspur-Museumseisenbahn
Nachdem die "Ulmer Eisenbahnfreunde" (UEF) schon seit einiger Zeit auf dem Normalspurteil des Bahnhofs Amstetten aktiv waren, lag der Gedanke nahe, auch die meterspurigen Gleisanlagen zur Durchführung historischer Dampfzugfahrten nach Laichingen zu nutzen. Man erinnerte sich der AVG-eigenen 99 7203, welche als Leihgabe im Viernheimer "Rhein-Neckar-Eisenbahnmuseum" stand. 1983 begannen die organisatorischen Vorbereitungen, nachdem sowohl WEG, als auch AVG "grünes Licht" signalisiert hatten. Doch noch bevor man an die Ausführung gehen konnte, wurde die wenige Jahre zuvor mit großem Aufwand für die Zukunft gerüstete Schmalspurbahn Amstetten - Laichingen völlig unerwartet innerhalb weniger Monate 1985 für den Gesamtverkehr stillgelegt. Der Grund war die von der Bundesregierung in beschämendster Kurzsichtigkeit herbeigeführte Entscheidung, den privaten Verkehrsbetrieben die gezahlte Mineralölsteuer nicht mehr zurückzuerstatten. Da die Steuererträge zum Straßenbau verwendet werden, wurde die Bahn damit gezwungen, ihre eigene Konkurrenz zu finanzieren - ein Mißstand, an dem sich bis heute nichts geändert hat! Dadurch trieb man den bis dahin mit großem Geschick weitgehend wirtschaftlich arbeitenden Bahnbetrieb sehenden Auges in den Ruin. Realistischerweise sahen sich die UEF außer Stande, die gesamte 19 km lange Gesamtstrecke in eigener Regie zu übernehmen.
So mußte das Projekt "Alb-Bähnle" schweren Herzens abgeblasen werden, bevor es überhaupt begonnen hatte - oder doch nicht? Im Sommer 1986 hatte es Walter Sigloch, damals zweiter Vorsitzender der UEF und "nebenher" Bürgermeister von Amstetten buchstäblich in letzter Minute geschafft: "Sein" Gemeinderat entschied sich zum Ankauf des rund 6 km langen und landschaftlich so herrlichen Teilstücks von Amstetten nach Oppingen !
Nun fingen die Schwierigkeiten jedoch erst an: Der bereits an den Schrotthändler verkaufte Gleiskörper mußte zurückerworben werden. Außer einigen Rollböcken waren keinerlei Fahrzeuge mehr vorhanden, und den Mitgliedern bot sich in Amstetten ein trostloses Bild verwaister Gleisanlagen ohne Gebäude und Versorgungseinrichtungen, die es zuletzt nur noch in Laichingen gegeben hatte. Bereits im Herbst 1986 erreichten von der schweizerischen Appenzeller Bahn vier altbrauchbare Personenwagen Amstetten, die den UEF kostenlos überlassen wurden. Und im November desselben Jahres traf die Dampflok 99 7203 ein. Mangels geeigneter Räumlichkeiten kam die Maschine in eine unbenötigte Lagerhalle der Heidelberger Druckmaschinen AG am Geislinger Ortsrand - ohne Gleisanschluß, jedoch umsonst und mit Strom- und Wasserversorgung.
Das kaum mehr als ein halbes Dutzend Freiwillige umfassende Häuflein der neuen UEF-Arbeitsgruppe mußte zunächst alle Kraft auf die Lok konzentrieren, die einer vollständigen Zerlegung und Aufarbeitung bedurfte. 60 Jahre harter Planeinsatz auf der Odenwaldbahn Mosbach - Mudau, der Bauzugdienst bei der Albtalbahn und der jahrelange Dornröschenschlaf unter einem Bretterverschlag in Karlsruhe hatten deutliche Spuren hinterlassen, und die Pflege im ehemaligen "Rhein-Neckar-Eisenbahnmuseum" in Viernheim war nur kosmetischer Art gewesen.
Zur Unterhaltung der Bahnanlagen wurden Ende 1987 zwei offene Güterwagen von der "Oberrheinischen Eisenbahn-Gesellschaft" (OEG) aus Mannheim beschafft. Gleichzeitig gelangte das letzte Fahrzeug nach Amstetten, das bisher in Laichingen traurige Kunde von der Existenz des einst bis dorthin führenden Schienenstrangs gegeben hatte: Die wenig Zuversicht erweckende Ruine des Dieseltriebwagens T 34. Durch eine freundliche Finte des Voreigentümers sind die UEF in dessen Eigentum gekommen wie die Jungfrau zum Kinde: Auf der Rechnung über die restlichen in Laichingen von den UEF abzubauenden Gleise war auch der T 34 zum Restwert von 1,- DM aufgeführt und die Gesamtrechnung bezahlt worden, ohne daß der Verein konkrete Kaufabsichten gehabt hätte. Der Tatbestand trat erst zutage, als die WEG anfrate, wann die UEF das Fahrzeug abzuholen gedächten. Der Respekt vor dem ehrwürdigen Gefährt gebot die aufwendige, per Kran und Tieflader bewerkstelligte Überführung nach Amstetten anstatt einer Verschrottung vor Ort. Da seine Restaurierung einem Neubau gleichkommen dürfte, bleibt das Fahrzeug bis auf weiteres hier abgestellt.
Glücklicherweise arbeiten die Bremseinrichtungen aller Fahrzeuge trotz der unterschiedlichen Herkunft mit Druckluft, so daß die Anpassung keine großen Probleme bereitete. Kopfzerbrechen machte hingegen die Frage des Kupplungssystems, da drei unterschiedliche Varianten vertreten waren: Mittelpuffer-Wiegebalkenkupplung an der Lok, Mittelpuffer-Zentralkupplung an den Personenwagen sowie Mittelpuffer-Trichterkupplung an den Güterwagen, kombiniert mit der halbautomatischen Scharffenberg-Kupplung. Man entschied sich für die Zentralkupplung.
Die Dampflok mußte nach ihrem Eintreffen zunächst komplett zerlegt werden. Mit Entrosten und Neulackieren war es bei einem Eisenbahnfahrzeug, das in jeder Hinsicht den hohen Sicherheitsansprüchen der Gesetzgebung für den Regulärbetrieb entsprechen mußte, keinesfalls getan: Schadhafte und fehlende Bauteile erforderten eine Reparatur oder gar eine völlige Neuanfertigung. Besonders die nur in kleinsten Stückzahlen gebauten Privatbahnmaschinen - und um eine solche handelt es sich hier - waren fast immer Unikate. So hilft oft nur das "Spicken" bei einer ähnlichen Lok desselben Herstellers oder eben die eigene Findigkeit weiter. Bei der 99er mußten Teile des Führerhauses und das Rauchkammerfutter erneuert, die Achslager ausgegossen, alle Dichtungen ersetzt und die elektrische Anlage neu verlegt werden. Die abgefahrenen Radsätze gingen an die Lokfabrik Reuschling im westfälischen Hattingen. Mit den dort aufgeschrumpften neuen Radreifen dürfte die Lok, gemessen an ihrer jetzigen Fahrleistung, mindestens die nächsten hundert Jahre fahren können...
Erleichternd wirkte hier, daß alle drei Schwesterlokomotiven der 99 7203 erhalten blieben und als Muster dienen konnten. Unersetzlich war vor allem der Rat erfahrener Maschinenmänner, die ihr Wissen in jahrzehntelanger Praxis erworben haben. Stellvertretend sollen hier die Namen Max Sontheimer und Walter Witzig stehen, sowie Werner Höfle für den "Nachwuchs". Keine noch so ausführliche "Betriebsanleitung" kann verhindern, daß man einmal "d'r Zinke neiklemmt".
Ein eigens aus dem Ruhestand geholter Kesselschmied wechselte alle 129 Siede- und Rauchrohre aus. lnzwischen mußten die Aktiven in den Kessel und in den engen Rahmenwasserkasten kriechen, um - mit Strahlnadler und Meißel bei spärlicher Beleuchtung auf dem Bauch herumrutschend - unter kaum erträglicher Staub- und Lärmentwicklung alte Kalk- und Rostschichten zu entfernen. Wer heute die fertige Lok betrachtet, möge sich erinnern, daß auch diese wenig beneidenswerten Tätigkeiten zum Alltag der Museumsbahner gehören. Am dunklen Rand unter den Fingernägeln soll man sie erkennen ...
Die im Herbst 1987 mit Bravour bestandene Kesseldruckprobe durch den TÜV war ein erster, aufmunternder Erfolg. Der Kessel wurde dabei vollständig mit Wasser gefüllt und unter Überdruck auf eventuell vorhandene Undichtigkeiten untersucht. Dennoch bot die Werkhalle ein ernüchterndes Bild: Da waren hunderte größere und kleinste, sorgfältig mit Zetteln beschriftete Teile ausgebreitet. Das war einmal, ja das sollte wieder eine Dampflok ergeben ?
Ab Anfang 1988 konnte in den ersten Baugruppen endlich wieder "vorwärts" gearbeitet werden. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß trotz der genauen Bezeichnung und der Hilfe durch Fotos sich das eine oder andere Teil der Verwendung an seinem ursprünglichen Ort widersetzte oder übrigblieb, ohne daß dies zunächst als Mangel erschienen wäre. Für gewisse Zweifel am eigenen Verständnis sorgte anfangs auch die Tatsache, daß es die Bundesbahn bei der letzten Großausbesserung 1963 mit der Montage verschiedener Triebwerksteile wohl nicht mehr so genau nahm und diese seitenverkehrt einbaute. Da die entsprechenden Schlagmarkierungen erst nach der Säuberung sichtbar wurden, kam irrtümlich der Gedanke an einen Fehler beim Beschriften auf. Immerhin hatte die Lok auch so funktioniert!
Eine weitere Aufmunterung, die besonders als positives Signal für die Öffentlichkeit verstanden werden konnte, war die Vergabe des mit DM 2.000,- dotierten Heimatpreises der Geislinger "W.-Kumpf-Stiftung", denn die kleine Halle im Geislinger Weißen Weg entwickelte sich mit Fortgang der Arbeiten zu einem "Lock-Schuppen" für die Lokalpresse. Solche Unterstützung konnte das Vorhaben wohl brauchen, nachdem absehbar wurde, daß die UEF die Herrichtung der Strecke vorwiegend als Fremdarbeit vergeben mußten. Die nähere Kalkulation hatte stolze DM 355.000,- Aufwand ergeben, welche die Gemeinde Amstetten als Eigentümer der Strecke aufbringen mußte. Von den bisherigen Aktivitäten, nicht zuletzt auf der Lokalbahn nach Gerstetten, zeigte sich der Kreistag des Alb-Donau Kreises so beeindruckt, daß ein Zuschuß von DM 50.000,- bewilligt wurde !
Nachdem Ende 1989 die Fertigstellung der Lok absehbar war, begann im Mai 1990 die Göppinger Gleisbaufirma Weiss mit dem Herrichten des Bahnkörpers. Fünf Jahre nutzlosen Brachliegens hatten deutliche Spuren hinterlassen: Zugewuchert, von umgestürzten Bäumen verlegt, mit abgerutschten Schotterböschungen und durch Frost und Hitze verworfenen Schienen zeigte sich das schmale Gleis. Ersetzen eines 1.200 Meter langen Teilstücks unterhalb Oppingen, Freischneiden des Lichtraumprofils, Nachziehen aller Schwellenschrauben, Einbau von 500 Wanderklemmen, die das Abrutschen der Schienen bei Belastung in der Steigung verhindern, verschrauben und verschweißen von Schienenstößen und Einbringen von rund 150 Tonnen Neuschotter, das waren die wichtigsten Arbeiten. Mangels fertiger Lok konnten keine Bauzüge gefahren werden, und per LKW waren die meisten Streckenabschnitte kaum zugänglich. Mit einer meterspurigen Gleisstopfmaschine brachte man die Strecke schließlich innerhalb von vier Tagen auf Vorderrnann. Die Nacharbeiten zogen sich bis zum Einweihungstag hin, da durch die große Hitze noch eine Gleisverwerfung auftrat. Durch entsprechendes Ausdehnen der Eröffnungsreden gelang es, die notwendige weitere Stunde zu gewinnen.
Doch zurück zu unserer "Neunaneunziger": Im Juni 1990 erblickte das wieder vollständig zusammengebaute "Lökchen" zum dritten Mal das Licht der Welt (Mosbach-Mudau, Albtalbahn, Amstetten), wurde unter den ungläubigen Blicken mancher Autofahrer per Tieflader nach Amstetten spediert und dort auf die Meterspurgleise gesetzt - jetzt war der Zug komplett! In den wenigen noch folgenden Wochen bis zum Fixtermin gelang es, die restlichen Arbeiten zu erledigen. Daß hierbei verstärkt die bisher schon öfters eingesprungenen Mitglieder anderer Arbeitsgruppen benötigt wurden und diese Belastung zusätzlich zur dortigen Freizeitarbeit mitunter nur durch Abfeiern des Jahresurlaubs gemeistert werden konnte, muß erwähnt werden - ebenso ein herzlicher Dank an die nicht vom Bahnvirus infizierten Familienmitglieder, welche für solches vielleicht narrenhaft anmutende Treiben dennoch Verständnis aufbrachten. Das nach 25jähriger Abstellzeit erfolgreich über die Bühne gegangene Anheizen der 99 7203 am 30. Juni 1990 in Amstetten, wobei erstmals wieder einige Meter aus eigener Kraft zurückgelegt wurden, und die eigentliche Probefahrt einige Tage später entschädigten für alle vorangegangenen Mühen.
Freitag, der 13.Juli 1990 hieß das magische Datum: Um eine Stunde verzögert, wie schon beschrieben, nahm die eigens im Sonderzug aus Karlsruhe angereiste Prominenz von UEF als Betreiber, AVG als Lokeigentümer und WEG als ehemaligem Betriebsführer die Eröffnungsfahrt vor. Am folgenden Wochenende stand die alte, neue Bahn bei "Kaiserwetter" dem Publikum offen. Gleichzeitige Fahrten mit der 75 1118 nach Gerstetten und eine Fahrzeugschau rundeten das Programm ab. So wurde die Schmalspurbahn zum zweiten Male - diesmal als touristische Attraktion - eröffnet!